Planungen für das Loreley-Plateau

Brief an Verbandsgemeinde Loreley Bürgermeister Mike Weiland von Prof. Dieter Kramer aus Dörscheid vom 06. 10. 2020

Sehr geehrter Herr Bürgermeister!

Von einem Aufenthalt aus Südtirol zurückkehrend, kann ich erst jetzt Kenntnis nehmen von den Beratungen zu dem Bebauungsplan „Loreley, 3. Änderung“ vom 03.09. 2020. Einige Überlegungen dazu möchte ich Ihnen zur Kenntnis geben.

Ich weiß: Alle Einwände, alle Vorschläge und Mahnungen kommen zu spät. Dennoch wundert es mich, dass seit Jahren von Klimawandel und Ressourcenerschöpfung die Rede ist, aber in den Planungen kein Gedanke darauf verwendet wird. Wenn es auch zu spät ist: Mindestens jetzt möchte man etwas Problemsensibilität erkennen können, und man würde erwarten, dass in etwas längeren Zeiträumen gedacht wird als in Wahl- und Legislaturperioden.

In Südtirol war ich beeindruckt davon, wie die Tourismusverantwortlichen von der Forschungseinrichtung EURAC und der gerade wiedergewählte Bürgermeister der Stadt Meran Paul Rösch sich auseinandersetzen mit den zu erwartenden Folgen der touristischen Belastungen von Stadt und Region: Die Stadt Meran versucht mit den verschiedensten Mitteln, den Autoverkehr in der Stadt zu minimieren und die Lebensqualität für Bewohner und Besucher damit zu steigern. Die Experten von EURAC führen Studien durch, wie man den Motorrad- und Autoverkehr über die überlasteten Dolomitenpässe vermindern kann. Und die ganze Region ist beunruhigt wegen der Folgen des Klimawandels. Es sind dort Extremwetterereignisse wie Starkregen (in vier Wochen haben wir zweimal solche Regen in einem sonst üblicherweise eher ruhigen Frühherbst erlebt) und Stürme (im Latemargebirge haben sie vor einiger Zeit ganze Wälder auf den Hängen zerstört). Bei uns sind es großflächig sterbende Nadelgehölze und, wie am Rhein beobachtbar, vorgezogene Herbstlaub-Verfärbungen an den Hängen.

Schon bei der Vorstellung des Gestaltungsvorhabens für die Loreley am 25.08.2020 war ich erschüttert, wie wenig die Projekte auf die schon lange erkennbaren ökologischen Veränderungen und Gefahren Rücksicht nehmen, und wie unsensibel sie auch auf die Belastungen durch wenig regulierten Tourismus reagieren.

Schätzt man heute die Folgen des Loreley-Tourismus richtig ein (nicht nur bezogen auf die Mengen, sondern auch auf die sozialen Begleiterscheinungen), und was hinterlässt man den Nachfolgenden?

Um zweierlei geht es mir im Folgenden: Um den historischen Ort „Loreley“ und um die Hotelplanungen auf dem ehemaligen Campingplatz an der Loreley.

Auf der vom Reicharbeitsdienst der Nationalsozialisten erbauten Freilicht-Arena werden in der Nachkriegszeit Stücke wie Wilhelm Tell von Schiller aufgeführt. Später gibt es erfolgreiche Pop-Konzerte (übrigens: Wenn die Hotel-Planer vermuten, die Geräuschbelästigung durch diese Konzerte sei vernachlässigbar, so kann ich nur sagen: Im mehrere Kilometer entfernten Dörscheid kann man immer erkennen, welche Band gerade spielt).

Turnerheim und Turnerdorf auf der Loreley stammen wohl aus den zwanziger Jahren. Die Turnerbewegung konnte zwar später von den Nazis vereinnahmt werden, aber sie war eine breit verankerte, auch mit der Weimarer Republik verbundene im Prinzip demokratische Bewegung. Mit Turnerinnen und Turnern konnten Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung auf die Loreley kommen. In das geplante Hotel werden später nur die Bessergestellten kommen.

Kraftvoll wurde das Plateau durch die umgesetzten Planungen zerstört. Man hat es besuchergerecht „umgestaltet“, würden die Verteidiger der Veränderung gern sagen, aber genauso gut kann man sagen, dass es die Besucher loreleygerecht „umgestaltet“, nämlich sie konditioniert für einen neu konstruierten Mythos, der keine wirkliche Entsprechung in der Überlieferung findet.

Was waren da übrigens für Kulturwissenschaftler am Werk, die immer wieder als Berater genannt werden? Waren das alte Mythenforscher oder „moderne“ Konstrukteure für regionale Identitäten? Ein Europäischer Ethnologe oder ein Kulturtheoretiker kann es eigentlich nicht gewesen sein.

Die aktuellen Besucher des verunstalteten Loreley-Plateaus eignen es sich auf ihre Weise an: Der Zwangsrundgang auf dem gepflasterten Weg soll sie an bestimmten Stellen zur Versenkung in „mythische“ Themen zwingen. Aber auf der Loreley wollen sich viele Besucherinnen und Besucher als freie Individuen nicht einfügen in den (freilich noch nicht fertigen) Mythen-Weg mit verordneten Verweilstellen. Konsequent haben sie informell ihren eigenen Weg aus dem Zwangsrundgang (zurück zum Eingang) gebahnt, ohne Rücksicht auf die stachligen, leicht zu zerstörenden Zwergrosenstöcke. Inzwischen wurde dieser informelle Weg auch informell anerkannt, indem der Trampelpfad durch Steine kanalisiert wurde: Das sind kreative Reaktionen von Bürgern in einem demokratischen Staat.

Erschüttert war ich Ende August auf dem Weg zur Loreley, als ich vom Rhein aus die vielen lange vor dem Herbst bereits braun werdenden Laubbäume sah (die abgestorbenen Nadelbäume sieht man vom Tal aus kaum). Ähnlich erschüttert war ich, wie wenig bei dem Hotelprojekt auf die schon lange erkennbare und erwartete ökologische Krise reagiert wurde: Da war in der Projektion ein großer Parkplatz mit einem einzigen symbolischen Baum zu sehen. Der Parkplatz sollte sichtbar sein. Über ein unterirdisches Parkhaus wird nur nachgedacht, aber möglicherweise ist es der geologischen Verhältnisse wegen gar nicht realisierbar.

An alternative Personentransportmöglichkeiten, wie sie für andere touristische Hot-Spots existieren (z. B. für Hallstatt am Hallstätter See oder Bad Ischl), geplant oder in Erwägung gezogen werden, wird für das ganze Plateau nicht gedacht, eher wird eine (noch zu versiegelnde) „Parkplatzerwartungsfläche“ in Erwägung gezogen. Es ist eine überdeutlich geradezu zur Nutzung auffordernde jenseits der Straße gelegene, jetzt noch landwirtschaftlich genutzte Fläche.

Eigentlich ist das Loreleyplateau wie geschaffen für ein autofreies Gebiet. Fehlende Autos würden nicht als Verzicht empfunden, sondern als Gewinn an Lebensqualität und Attraktivität für das Plateau: Da könnten Volksfeste und Wettbewerbe stattfinden, internationale Begegnung und Gesangsfeste; Kinder, Jugendliche und Vereine der Region können ihr Leben in eigener Regie ohne Verzehrzwang gestalten. Eine Wiedereroberung des öffentlichen Raums könnte stattfinden.

Venedig braucht nicht als Beispiel hinzugezogen zu werden; da dürfen ja noch nicht einmal Fahrräder fahren. Aber manchen Venedig-Besuchern fällt erst auf, wenn sie wieder weg sind, dass sie die Stadt so angenehm empfunden haben, weil es dort weder Autos noch Motorräder oder Mopeds gibt. Andere touristische Ziele sind schon lange im Prinzip autofrei und belassen die Autos außerhalb in großen Parkanlagen, verbunden mit Shuttle, Seilbahnen oder schienengebundenem automatisiertem Verkehr wie der People Mover in Venedig. Man braucht es freilich nicht gleich so groß zu planen. Shuttle-Busse oder Seilbahnen reichen vielleicht auch. Bis zur Buga 2029 ist eigentlich noch genügend Zeit.

Ein Teil der nicht versiegelten Freifläche beim Hotel soll, um die Nutzer für Natur zu sensibilisieren, mit Obstbäumen bepflanzt werden, vielleicht sogar mit gefährdeten Sorten. Die sollen dann auch noch innerhalb der Amortisationszeit des Projektes Früchte tragen. Ich konnte 2018 beobachten, wie in der Rehabilitationsanlage Mettnau/Radolfzell die Gärtner zur Herbstzeit jeden Morgen mühevoll die herabgefallenen Äpfel auf den Kompostwagen luden. So etwas passt eigentlich nicht gut in ein knapp kalkuliertes Konzept –also ein Zugeständnis an potenzielle Kritiker?

Man erwartet 2020 von einer aktuellen Hotelplanung angesichts der schon seit Jahren bekannten ökologischen Krise wenigstens eine symbolische Reaktion. Von alternativer Energiegewinnung auf dem gewaltigen Plateau des Hotelhauptgebäudes keine Spur, eher scheint es eine „Wellnessbad-Erwartungsfläche“ zu sein.

Ob ohne die geringsten Maßnahmen zur Reaktion auf Klimawandel und ökologische Krise eine Baugenehmigung für ein solche Projekt überhaupt erteilt werden sollte, wäre zu prüfen.

Im obersten Stockwerk wird ein Tagungsbereich geplant, aber nicht einmal ansatzweise wurde darauf reagiert, dass Videokonferenzen auch nach dem Ende der Corona-Krise nicht aus der Mode kommen werden. Übrigens: Die Tagungsgäste sollen brav im Hotel bleiben können und dort alles geboten bekommen, was sie brauchen, und sie sollen nicht nach Frankfurt oder Koblenz in das dortige Nachtleben entfleuchen, damit sie am nächsten Tag wieder frisch und munter tagen könne. Ob das erfolgreich ist?

Das Hotel wir gepriesen als Arbeitsbeschaffungshilfe für die Region. Anscheinend hat man noch nie etwas gehört von Zimmerservice- und Reinigungsrobotern, von pflegeleichten Zimmereinrichtungen und von Reinigungsdiensten, die mit Billigst-Arbeitskräften aus dem europäischen oder globalen Ausland arbeiten, vielleicht als selbständige Kleinstunternehmer?

Bei den „Hotelvillen“ gibt man sich noch nicht einmal die Mühe, zum Bau lokale Firmen einzubeziehen: Sie werden aus (wenn ich recht verstanden habe) in Dänemark produzierten Fertigbauelementen rasch zusammengebaut.

So werden die Hoffnungen auf Auftrieb für lokale Handwerksbetriebe betrogen. Wird es mit den Zulieferern für Nahrungsmittel und Ähnliches anders sein? Wer in unserer Gegend produziert denn Convenience-Nahrungsmittel, die inzwischen einen hohen Prozensatz der servierten Speisen in Hotels ausmachen?

Und wie wäre es wenigstens mit einer Hackschnitzelheizung, wie sie im benachbarten Schulzentrum existiert? Ich kenne ein größeres Hotel in Österreich, das seine Heizung mit Meterholz betreibt (wenigstens bis zum Abend, eine Nachtschicht für einen Heizer war vor zehn Jahren noch zu teuer). Die Forstwirtschaft in unserer Region könnte angesichts der Waldschäden so etwas gut bedienen, statt dessen kommt wahrscheinlich Gas aus Schottland oder Russland.

Und der Wasserbedarf, auch ohne Wellnessbereich: Tröstend wird gesagt: Es gibt noch ungenutzte Wasservorräte in der Region. Noch nichts von Klimawandel gehört? Und Abwasser? Naturfreundehäuser und Berghütten bauen schon seit Jahrzehnten ihre eigenen Schilfkläranlagen, hier gibt es keine Spur von Überlegungen zur Abwasserbehandlung (man sagt, die regionalen Kläranlagen seien ohnehin überdimensioniert).

Fragen über Fragen. Solche Fragen werden es auch sein, die den heutigen Entscheidungsträgern von ihren Enkeln gestellt werden.

Erweckt wird von den Verantwortlichen der Eindruck: Lasst uns in Ruhe mit allem, was nicht mit Geld zu tun hat.

Immer ist die Rede davon, man wolle Entwicklung voranbringen. Als könne Wachstum unendlich sein! Und Entwicklung bezieht sich immer auf Umsatz, Kaufkraft und Geld. Soziale und sozialkulturelle Entwicklung in einer Region mit alternder Bevölkerung, integrationsoffenen Zuwanderern, abwandernden Jugendlichen und – mindestens teilweise – Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften spielen keine Rolle (zu wieviel Ausbildungsplätzen kann man ein solches Hotel verpflichten?)

Keine Rolle spielen auch die politisch-sozialen Bruchlinien in einer Gesellschaft, in der die Kluft zwischen Arm und Reich wächst und in der Jugendliche Probleme haben, sich zu integrieren. Glücklicherweise gibt es in der Region noch ein einigermaßen funktionierendes Vereinsleben, Jugendfeuerwehren eingeschlossen. Aber haben die selbstorganisierten freien Zusammenschlüsse von Jugendlichen und Erwachsenen eine Chance, das Loreleyplateau wenigstens in Teilen als ihren Raum zu nutzen?

Bei den Turnern im Turnerdorf hatten Jugendliche und junge Erwachsene aus verschiedensten Milieus und aus ganz Deutschland ihre Chance, sich zu betätigen. Was für ein Publikum in dem Hotel einkehren wird, kann man sich vorstellen. Ist wenigstens daran gedacht, außer Rockkonzerten und Mittelaltermärkten andere kulturelle Ereignisse und Veranstaltungsformate zu pflegen (vielleicht auch ein Forum „Zukunftsfähige Lebensformen in ländlichen Regionen“?)

Früher wurde bei Hotelprojekten in Amortisationszeiträumen von 15-20 Jahren gedacht, danach muss Grundsanierung oder Abriß in Erwägung gezogen werden. Das benachbarte Patersberg fügt sich in ein solches Zeitschema ein. Um 1964 erbaut, wird es um 1986 in eine Anlage mit Appartmentwohnungen umgewandelt, 2020 wird das noch existierende (leere) Schwimmbad um den symbolischen Preis von einem Euro abgestoßen. Da hat auch jemand wie der Turner auf der Loreley in dem Gedicht von Erich Kästner seine Kräfte überschätzt – oder hat er von Anfang an auf einen solchen Ausgang spekuliert? In welchen Zeiträumen wird bei dem jetzigen Projekt gedacht? Darf man danach fragen? Die jetzt Lebenden erwarten das BuGa-Jahr 2029. Und danach? Die meisten der jetzt geborenen Kinder werden locker das Jahr 2100 erleben – was werden sie ihre Eltern fragen und ihnen vorhalten? Wie viele hoch angepriesene Projekte sind in den letzten Jahrzehnten schon zugrunde gegangen, und was wird sich mit und nach Corona und beim Klimawandel noch ändern?

© Dieter Kramer kramer.doerscheid@web.de 06. 10. 2020